Ohne Titel

Körpergedächtnis ist kein Privileg des Menschen

In der traumasensiblen Arbeit mit Menschen spielt das Körpergedächtnis eine zentrale Rolle – das Wissen des Körpers um frühere Erfahrungen, das sich in Spannung, Haltung oder Reflexen zeigt. Doch dieser somatische Speicher ist keineswegs dem Menschen vorbehalten. Auch Tiere – vor allem jene, die uns in der tiergestützten Arbeit begleiten – tragen Erfahrungen in ihrem Körper, erinnern sich auf einer nicht-kognitiven Ebene und bringen diese Erinnerungen in die Beziehung ein.

In unserer Praxis arbeiten wir mit Tieren, die nach modernen, positiven Trainingsansätzen begleitet werden. Unser Ziel ist eine Beziehung, die auf Vertrauen, echter Kooperation und gegenseitiger Achtung basiert. Unsere Tiere dürfen „Nein“ sagen, verfügen über ein Kooperationssignal und ein Abbruchsignal, das wir jederzeit respektieren.

Das heißt: Sie sind nicht nur Teil der Arbeit, sie gestalten sie aktiv mit.


Was bedeutet Körpergedächtnis bei Tieren?

Auch Tiere verfügen über ein implizites, somatisches Erinnerungssystem. Dieses speichert Erfahrungen, insbesondere solche, die mit Stress, Angst oder Unsicherheit verbunden waren – z. B. durch ungünstige Haltung, Überforderung oder negative Mensch-Tier-Interaktionen.

Diese Erinnerungen zeigen sich später durch:

  • Körperspannung, Muskelzittern, flache Atmung

  • Rückzugsverhalten oder Unruhe

  • Einfrieren (Freeze) oder Erstarren

  • Vermeidungsverhalten oder Übersprungshandlungen

Sie leben im Moment – aber ihr Körper erinnert.


Was bedeutet das für die tiergestützte Intervention?

In unserer Arbeit ist das Tier niemals nur Co-Therapeut:in oder Mittel zum Zweck – sondern ein Lebewesen mit eigener Geschichte, eigenem Erleben und eigenen Bedürfnissen. Daraus ergibt sich für uns ein fachlicher und ethischer Anspruch:

🧠 1. Resonanz wirkt in beide Richtungen

Wenn ein Tier über Körpersignale auf alte Erfahrungen reagiert, beeinflusst das auch die Klient:innen. Gerade Menschen mit Trauma oder neurodivergenter Wahrnehmung sind oft sehr feinfühlig – sie nehmen Spannungszustände intuitiv wahr. Deshalb achten wir auf körperliche und emotionale Regulation – beim Menschen und beim Tier.

🐴 2. Unsere Tiere dürfen mitreden

Wir arbeiten bedürfnisorientiert – mit klaren Strukturen, Rückzugsmöglichkeiten und dem Prinzip der Freiwilligkeit.
Unsere Tiere kennen:

  • Kooperationssignale, um mitzuteilen: „Ich bin bereit.“

  • Abbruchsignale, um deutlich zu machen: „Ich brauche eine Pause.“

Wir betrachten das nicht als nettes Extra, sondern als Grundlage echter Beziehung.

🤲 3. Körperliche Heilung beginnt mit Sicherheit

Nur ein reguliertes Tier kann zur Co-Regulation beitragen. Wir unterstützen unsere Tiere darin, ihr eigenes Körpergedächtnis über positive, wiederholbare Erfahrungen umzuschreiben – durch sanfte Berührung, langsame Bewegung, bewusste Beziehung. Methoden wie die Schnaubkorrespondenz am Lichtblickhof inspirieren uns, auf noch feinere Signale zu achten.


Fazit: Beziehung entsteht, wenn alle gesehen werden

In der tiergestützten Intervention ist das Körpergedächtnis nicht nur ein Thema auf der Seite der Klient:innen. Auch unsere tierischen Partner:innen tragen Erfahrungen in sich – manchmal sichtbar, manchmal still. Sie verdienen einen Rahmen, in dem sie sich sicher, gehört und ernst genommen fühlen.

Für uns ist das mehr als Haltung – es ist fachlicher Standard.

Denn echte Heilung entsteht dann, wenn beide Seiten der Beziehung Raum bekommen:
der Mensch mit seinem verletzten Nervensystem – und das Tier mit seinem gespeicherten Körperwissen.
In diesem Resonanzraum dürfen neue, sichere Erfahrungen entstehen. Und manchmal beginnt Veränderung nicht mit einem Satz – sondern mit einem Ohrenspiel, einem Schritt zurück, einem Blick, der sagt: „Ich bin bereit. Wenn du es auch bist.“