Kooperationssignal, Startbutton & Abbruchsignal – Bausteine für Selbstbestimmung in der Tiergestützten Intervention

 

Ein Beitrag zur ethischen Weiterentwicklung tiergestützter Arbeit

 

In der Tiergestützten Intervention (TGI) steht häufig der Mensch im Mittelpunkt – seine Entwicklung, sein Lernen, sein emotionales Erleben. Doch mit wachsendem ethischen Bewusstsein rückt zunehmend auch ein anderer Protagonist ins Blickfeld: das Tier als handelndes Subjekt.

Wie freiwillig ist die Teilnahme der Tiere an den Settings wirklich? Inwiefern können sie Einfluss auf Dauer, Art und Intensität der Interaktion nehmen? Und was können wir tun, um ihnen diese Selbstbestimmung tatsächlich zu ermöglichen?

Ein vielversprechender Ansatz liegt im gezielten Einsatz von Kooperationssignalen – insbesondere sogenannten Startbutton- und Abbruchsignalen. Diese Signale machen nicht nur Verhalten steuerbar, sondern ermöglichen unseren Tieren echte Mitbestimmung. Damit eröffnen sie neue Perspektiven auf eine wirklich partnerschaftliche Form der TGI.

 

Vom Werkzeug zum Partner – Ein Paradigmenwechsel

 

In der frühen Entwicklung tiergestützter Arbeit wurde das Tier oftmals als „natürlicher Verstärker“ oder „therapeutisches Medium“ betrachtet – ein Mittel zur Zielerreichung menschlicher Bedürfnisse. Diese Sichtweise ignoriert jedoch die Subjektqualität des Tieres.

Mit der Etablierung der Human-Animal Studies, der Tierethik und interdisziplinären Forschung zu Tierwohl verändert sich dieses Verständnis grundlegend. Heute ist klar: Tiere sind fühlende, wahrnehmende und entscheidungsfähige Wesen. In der TGI begegnen wir ihnen daher idealerweise nicht als Werkzeug, sondern als kooperierende Partner.

 

Was sind Kooperationssignale?

 

Kooperationssignale sind bewusst trainierte oder beobachtete Verhaltensweisen, mit denen ein Tier aktiv anzeigt, dass es bereit ist, an einer bestimmten Handlung oder Situation teilzunehmen.

Diese Signale stammen ursprünglich aus dem Bereich des Medical Trainings, wo sie eingesetzt werden, um medizinische Prozeduren stressfrei durchzuführen. Doch ihr Potenzial reicht weit darüber hinaus – insbesondere in die tiergestützte Arbeit.

Beispiel: Ein Hund, der seine Nase gezielt auf ein Target legt, um zu zeigen: „Ich bin bereit für Körperkontakt“ oder „Du darfst jetzt mit mir arbeiten.“

 

Startbutton-Signale: Der freiwillige Beginn

 

Ein Startbutton-Signal ist ein klar erkennbares Verhalten, mit dem das Tier die Initiative zur Interaktion ergreift. Anders als beim klassischen Signal durch den Menschen („Setz dich“, „Komm“) liegt hier der Kontrollpunkt beim Tier.

Wissenschaftlich betrachtet handelt es sich um eine Form von operanter Konditionierung, bei der das Tier lernt, dass ein bestimmtes Verhalten (z. B. Nase an Target) zu einer Vorhersehbarkeit und Mitgestaltung der Situation führt.

Das Entscheidende: Ohne dieses Signal beginnt keine Interaktion. Das Tier hat dadurch eine echte Wahl – und genau das ist der ethische Kern des Konzeptes.

 

Das Abbruchsignal: Ein klares „Nein danke“

 

Ebenso wichtig wie das Startsignal ist die Möglichkeit des Tieres, eine laufende Situation zu beenden oder zu unterbrechen.

Ein Abbruchsignal kann aktiv trainiert werden (z. B. über ein bestimmtes Verhalten wie „Weggehen“, „Target loslassen“), oder es wird passiv über körpersprachliche Signale wahrgenommen (z. B. Blickabwenden, Erstarren, Schnauze lecken).

Wichtig ist, dass wir diese Signale ernst nehmen und respektieren – nicht als „Widersetzlichkeit“, sondern als Kommunikation auf Augenhöhe.

 

Warum Selbstbestimmung in der TGI entscheidend ist

 

Selbstbestimmung ist ein grundlegendes Bedürfnis – nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere. Zahlreiche Studien zeigen, dass Tiere, die Kontrolle über ihre Umwelt und die Möglichkeit zur Wahl haben, weniger Stress und höhere Kooperationsbereitschaft zeigen.

In der TGI wirkt sich diese Freiheit doppelt positiv aus:

  • Sie erhöht das Tierwohl nachhaltig.

  • Sie unterstützt die Wirksamkeit der Intervention, da freiwillige Interaktion authentischer und stabiler ist.

Integration in die Praxis

 

Die Anwendung von Kooperationssignalen in der TGI erfordert Wissen, Geduld und strukturiertes Training. Sie beginnt mit der Frage:
„Was braucht mein Tier, um sich sicher zu fühlen – und wie kann es mir das mitteilen?“

Durch gezielte Signalkonditionierung (z. B. über Targets), durch sensibles Beobachten von Körpersprache und durch Raum für Rückzug schaffen wir eine Kultur der Freiwilligkeit und des Respekts.


Ausblick auf Teil 2 der Serie

 

Im nächsten Beitrag widmen wir uns der Frage, wie Freiwilligkeit beobachtbar und messbar wird. Wir schauen auf Stress- und Entspannungssignale, auf Tools zur Beobachtung des Tierverhaltens und auf die Rolle von Kontextfaktoren.


Fazit

 

Die Einführung von Startbutton- und Abbruchsignalen ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer wirklich tiergerechten, ethisch fundierten TGI. Sie ermöglichen den Tieren, mit uns in Beziehung statt in Abhängigkeit zu treten – und machen die Intervention damit nicht nur effektiver, sondern auch würdevoller.